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Veröffentlichte Bücher: "Life on the Line - The heroic story of Vicki Moore" von Matilda Mench und "Rettet den Gnadenhof" von D.L.M. Mench, sowie Gute-Nachtgeschichten für Kinder usw.

Sonntag, 29. Dezember 2019


Integration durch Mülltrennung?


Ende Oktober 2019 erreicht mich ein E-Mail mit dem Betreff „Take a walk with me“. Dahinter verbirgt sich die Einladung zu einem weiteren Bürgerspazierung mit Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link. Herr Link scheut den Kontakt zu Duisburger Bürgern nun wirklich nicht. Neben seiner Bürgersprechstunde kann man ihn in Kneipen, Wohnzimmern und bei den Rundgängen durch die Stadtteile treffen. Die Duisburger lieben diese gut organisierten Veranstaltungen, weshalb es sofort eine Warteliste gibt.

Nach dem berühmt-berüchtigten Marxloh soll es am 16.11.2019 durch ein
Auch das ist Hochfeld
weiteres „Problemviertel“ gehen, von dem man als Nicht-Duisburger oder neu zuziehende Person eigentlich nur den schlechten Ruf kennt: Hochfeld, der jüngste Stadtteil Duisburgs. Was soll es dort etwas Interessantes zu sehen geben? Wer googelt, bekommt nur abschreckende Angaben zu Hochfeld. Auch die Presse berichtet in der Regel nichts Erfreuliches. Der Fokus scheint auf Kriminalität zu liegen.

Rheinpark Duisburg (vor dem Abriss)
Der Treffpunkt liegt im Rheinpark. Auf der ehemaligen Industrieanlage gibt es neben viel grüner Wiese, auf der auch professionelle Hochzeitsfotos gemacht und Flohmärkte veranstaltet werden, eine Rheinpromenade mit Strand und  dem Restaurant Ziegenpeter, einen Platz für Skater und verfallende Industrieanlagen. Die müssen jetzt weg, denn auf dem Gelände soll ein Wohnviertel entstehen. Doch eigentlich geht es auch darum, dass Duisburg gemeinsam mit anderen Städten den Zuschlag für die Internationale Gartenschau IGA 2027 erhalten hat. Und die wird auch im Rheinpark stattfinden.

Deshalb soll am anderen Ende des Parks der so genannte Kultushafen zugeschüttet werden. Dagegen regt sich bereits Widerstand, denn das Gebiet ist ein kleines, aber feines Biotop. Warum es ausgerechnet einer Ausstellung, bei der es um Natur geht, weichen soll, entzieht sich der Logik.

Der Bürgerspaziergang führt weiter zur Grünanlage Grüner Ring, wo sich auch die Rudolf-Schock-Straße befindet. Wer sich noch an die vielen Musiksendungen und Spielfilme im damaligen schwarz-weiß Fernsehen erinnern kann, der wird vielleicht erstaunt sein, dass der bekannte Sänger in Duisburg geboren wurde. Ich hätte ihn eher in ein Gebiet verlegt, in dem Dirndl zur Alltagskleidung zählen.

Kletterbunker
Vorbei an einem zu einer Kletteranlage umfunktionierten Hochbunker geht es zu einem neuen Vorzeigeprojekt der Stadt. Das Blaue Haus ist ein Jugendzentrum, das die vielen Kinder und Jugendlichen, die aus dem Ausland in Duisburg aufschlagen, auffängt und begleitet. Früher bestand das Jugendzentrum aus abgewrackten Containern, jetzt bekommen die Betreiber endlich ein adäquates Gebäude mit professionellem Graffiti. Einer der Verantwortlichen schildert die beeindruckende Arbeit des Trägervereins und die Bürger dürfen Fragen stellen. Sie erfahren, dass neu zugezogene Kinder nicht selten über ein Jahr auf die Einschulung warten und überhaupt nicht verstehen, wie das neue Land funktioniert. Warum fragen wir eigentlich sonst nie nach, was Jugendhäuser so machen? Eigentlich könnte man ja einfach vorbeischauen und sich vielleicht sogar engagieren?

professionelles Graffiti
Jugendamtsleiter Hinrich Köpcke sieht sich unerwartet mit Fragen konfrontiert, die die beabsichtigte Kürzung von Fördergeldern in anderen „Problemvierteln“ an-sprechen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Blaue Haus, das auf dem Weg der Besucher der IGA 2027 liegt, eben besonders viel hermachen soll. Und deshalb soll das Haus nebenan, das seit Jahren leer steht, abgerissen werden. In Duisburg wird bekanntlich so manches Gebäude publikumswirksam gesprengt, aber hier wird wohl eher die gute alte Abrissbirne zum Einsatz kommen.

Soll weg

Auf dem Weg zum Brückenplatz sind erstaunlich viele teure Autos zu sehen. Wie passt denn das zu dem Stadtteil, in dem hohe Arbeitslosigkeit herrscht? Es ist eine Hochzeitsgesellschaft, die gerade aufbricht. Die Befürchtung einer Bürgerin bewahrheitet sich nicht: Es wird nicht in die Luft geballert und der Korso hält brav an einer roten Ampel.




Ein großes Herz in Pink verziert die Mauer hinter einem Brunnen auf dem Brückenplatz. Angeblich befindet sich darunter ein Hakenkreuz, das ruckzuck in Eigeninitiative der Stadtteilbewohner beseitigt wurde.
Herz statt Hakenkreuz

Ein Mitarbeiter der Abfallbeseitigung klagt der Bürgerguppe sein Leid. Der Zufluss von Menschen mit Migrationshintergrund in den Stadtteil ist ungebrochen. Nicht nur, dass viele von geldgierigen Vermietern ausgenutzt würden. Man könne die Menschen auch nicht durch Arbeit integrieren, weil es keine Arbeit mehr gäbe. Die Mülltrennung sei ein enormes Problem. Man versuche, die Neubürger dafür zu sensibilisieren. Integration durch Mülltrennung?, frage ich mich.

Der Vortrag wird jäh unterbrochen, als ein kleiner schwarzer Junge angerannt kommt und den ehemaligen Baudezernenten Carsten Tum anspricht: „Bist du der Bürgermeister?“ Der verneint und bringt ihn zu Sören Link, der sich dem Kind vorstellt. Er findet heraus, dass der Junge gerne Sport treiben würde, es sich aber nicht leisten kann. Auch hier erstaunt wieder einmal, dass sich der Oberbürgermeister mit vielen Belangen der Bürger gut auskennt. Er empfiehlt dem Jungen einen Antrag beim Stadtsportbund zu stellen, damit er ein ganzes Jahr umsonst in einem Verein Sport machen kann. Er soll in der Schule fragen, wo es die Anträge gibt. Mit großen Augen hört der Junge zu. Eine Teilnehmerin schreibt ihm sicherheitshalber das Wort „Stadtsportbund“ auf, damit er den Zettel seiner Lehrerin geben kann. 

Der nächste Stopp ist der „Citywohnpark“. Dort sollen nach Angaben der städtischen Wohnbaugesellschaft GEBAG 1.200 Menschen aus 60-70 Nationen wohnen. Es ist eine der größten Wohnanlagen Duisburgs, die jetzt renoviert werden soll. Eigentlich hätte man aufgrund des vorangehenden Vortrags mit Müllbergen rechnen können, doch nein, es ist sehr sauber. Die Siedlung wirkt annehmlicher und kompakter als die Hochhäuser in Duisburg-Hochheide.


Sören Link mit Hochfelder Kindern
Kinder suchen den Kontakt zum Oberbürgermeister, während die Besucher sich das kleine Lokal anschauen, in dem die Anwohner einen günstigen und gesunden Mittagstisch organisieren. Man möchte mehr wissen, über das Zusammenleben und den Alltag der Bewohner, doch die Zeit drängt.


Kein Bürgerspaziergang ohne einen kulinarischen Abschluss. Der findet dieses Mal in der Krümelküche.statt. In dem kleinen Café-Restaurant, in dem kein Möbelstück und keine Kaffeetasse zur anderen passt, wird veganes Gebäck angeboten, das Sören Link, der sich eher als Fleischesser outet, ausdrücklich empfiehlt. Zwar skeptisch, aber gespannt, greifen alle zu und scheinen äußerst zufrieden. Der Besitzer hebt hervor, dass es ihm wichtig ist, aufzuzeigen, dass der schlechte Ruf des Stadtteils eher unbegründet ist. Ein Bürgerspaziergang wird die Vorurteile nicht ausradieren können, aber ein Anfang scheint gemacht.

Dienstag, 14. August 2018

Der Rhein sagt: Nein!


Rheinweg nach dem Hochwasser 2018
















Voll Kunststoffflaschen ist das Feld.
Wer hat den Müll hier abgestellt?
Vorsicht, wer sich jetzt nicht duckt,
Wird mit Plastik vollgespuckt.

Ist der Rhein ein Schwein?
Das ist jetzt aber sehr gemein.
Er gibt bloß Stück für Stück
den ganzen Dreck an uns zurück.


Der Rhein sagt: Nein!
Bitte werft mir nichts mehr ein.
Ich erstick' an eurem Müll,
schreit er mit Gebrüll.


Rheinweg nach dem Hochwasser 2018












(nach dem Hochwasser 2018)



Dieses Kurzgedicht widme ich den Wirtschaftsbetrieben Duisburg, die unermüdlich und zuverlässig bei jeder Witterung und an jedem Tag der Woche unsere Parks und Grünanlagen aufräumen. Einfach mal Danke!







 




Donnerstag, 10. Mai 2018

Reflexionen zum Bürgerspaziergang in Duisburg-Marxloh


Was fällt einem zu Marxloh ein? Wer auf Reisen sagt, dass er aus Duisburg kommt, wird oft gefragt: "Aber nicht aus Marxloh, oder?" Der Bekannheitsgrad dieses Stadtteils ist groß und beruht auf zwei Säulen: der Brautmeile und der Kriminalität. 

Die Touristen kommen wegen der Brautmeile. Die Bundespolitiker kommen, um sich kurz in Marxloh fotografieren zu lassen und dann zu behaupten, sie setzten sich gegen Kriminalität ein. Dann sofort wieder ab in die Limousine, zurück zum Flughafen und das war es. 

Im April 2018 lädt Oberbürgermeister Sören Link zu seinem achten Bürgerspaziergang durch den "Problem-Stadtteil" ein. Im Rahmen der Image-Kampagne sollen interessierte Bürger "ein anderes" Marxloh kennenlernen, das auch schöne Ecken zu bieten hat. Das Interesse ist groß und dieses Mal schließen sich erfreulicherweise auch Bürger mit Migrationshintergrund und "alte Marxloher" an. Irgendwie sind sie noch stolz auf ihren Stadtteil, gleichzeitig jedoch über den jetzigen Zustand ihres Geburtsorts beunruhigt.
Marxloh ist grüner als erwartet
Marxloh ist grüner als erwartet

Der Weg führt durch eine Wohnsiedlung mit dem Namen "Im Stillen Winkel". Diese aufgeräumte und perfekt in Stand gehaltene, ziemlich in sich abgeschlossene Siedlung, würde man dort tatsächlich nicht vermuten. Marxloh ist auch viel grüner als man denkt und so geht es weiter zum Jubiläumshain, einem großen Park mit geräumigem Spielplatz.


Einige Programmpunkte weiter befinden wir uns endlich in der Ecke, die jeder mit dem Stadtteil assoziiert. Im Eingang eines großen Modegeschäfts wird dem Marxloher Bürgermeister ein Turban umgewickelt. 


Turban wickeln
Ein Turban braucht Zeit
Das dauert erstaunlich lange. Während der "Wartezeit" sprechen mich wiederholt Leute an, die wissen wollen, was es mit dem Menschenauflauf auf sich hat und ob sich darunter ein Promi befindet. Die meisten Menschen sind eher amüsiert darüber, dass zur Abwechslung einmal eine Gruppe einheimischer Touristen durch den Stadtteil geführt wird. Manche sind auch nur genervt, weil sie immer wieder "vorgeführt" werden. Für sie sind wir Gaffer. 

Ein älterer ehemaliger Drogenabhängiger erklärt mir, dass in Marxloh viele Menschen durch das soziale Netz fallen und sich von den Behörden allein gelassen fühlen. Die Gelegenheit, jetzt direkt mit dem Oberbürgermeister zu sprechen, nutzt er aber nicht.

Der nächste Stopp ist das älteste Brautmodengeschäft Marxlohs. Die Besitzer bewirten die von der Hitze erschöpften Gäste freundlich mit Mineralwasser. Endlich einmal kann man die Prinzessinnen-Kleider ganz von Nahem betrachten. Man traut sich sonst nicht in die Geschäfte hinein, weil es offensichtlich ist, dass man sowieso nichts kaufen wird. Wie oft kauft man schon ein Brautkleid? 

Brennende Fragen werden von den Verkäuferinnen geduldig beantwortet:

  • Werden die teuren Brautkleider nach der Hochzeit umgeändert und können somit noch einmal getragen werden? 

Nein, anscheinend werden sie ziemlich schnell in Online-Portalen zum Verkauf angeboten. 
OB Link im Brautmodengeschäft


  • Wie sieht es mit den langen Kleidern aus, die von den Verwandten der Braut getragen werden? 

Die werden durchaus öfter getragen, etwa im Theater, bei Konzerten und großen Familienfesten. 

Grundsätzlich werde es nicht gerne gesehen, wenn weibliche Gäste bei Hochzeiten und sonstigen wichtigen Feiern im "kleinen Schwarzen" oder Cocktailkleidern auftauchen. Gut zu wissen, falls man mal eingeladen wird.

Aus der glitzernden Welt der Brautmeile werden wir in eine Gegend mit viel Leerstand versetzt. Kinder verschiedener Nationalitäten spielen in der Nachmittagssonne auf der Straße. Es sieht eigentlich sehr friedlich aus. Einer der Väter spricht mich an.  Auch er wundert sich auch über die große Gruppe, die da durch die Straßen läuft. 

Ich erkläre ihm, dass man uns Marxlohs besseren Seite zeigen will. Der Leidensdruck des Mannes kommt deutlich zum Ausdruck, als er sagt: "Machen Sie Marxloh nicht schöner, als es ist. Jetzt sehen Sie nichts. Aber was hier wirklich passiert, sehen Sie abends in den Fernsehnachrichten." Was soll man darauf antworten? Dass sich in Marxloh viele Organisationen und Menschen ehrenamtlich um eine Verbesserung für die Bewohner bemühen, aber dass das alles Zeit braucht? Hätte das den Mann getröstet? Wohl kaum. Ratlos schweige ich und gehe weiter.

Parkplatz mit bunt bemalten Säulen
Parkplatzkunst




Sonntag, 29. April 2018

Marienkäfer © M. Mench

Ein Geschenk passend zum Frühling!





Für alle Kitas, Grundschulen, Kinderkrankenstationen, Familienzentren und ehrenamtliche VorleserInnen stelle ich meine Geschichten "Klitzekleine Kreaturen - Ein Dutzend Geschichten zum Staunen und Träumen" jetzt kostenlos zur Verfügung. 


Da E-Reader leider immer noch nicht genügend verbreitet sind, kann man mich per E-Mail oder über Facebook und Twitter kontaktieren und sich die Geschichten kostenlos als PDF-Datei bestellen. Ausdrucken muss man dann natürlich selbst. Und schon kann es losgehen.

Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis:

• Warum der Tausendfüßler so unglücklich über den Verlust eines Schuhs ist
• Wieso die Schnecke aus ihrem Haus ausgesperrt ist
• Warum die Ameisen dringend umziehen müssen
• Warum Teichmolche unter Verdacht geraten
• Wie die Putzergarnelen ihre Konkurrenz loswerden
• Wie den Fröschen bei der Eiablage geholfen wird
• Dass auch Bienen an einer Pollenallergie leiden können
• Wie sich Meeresbewohner gegenseitig helfen

und vieles mehr kann man auf spannende und humorvolle Art in diesem Büchlein lesen.

Das Vorlesen einer Geschichte dauert ca. 10 Minuten. Wer schon selbst lesen kann, braucht nur ein paar Minuten länger.

Die bereits an Grundschülern und Kita-Kindern erprobten Geschichten ziehen die lieben Kleinen sofort in die abenteuerliche Welt der klitzekleinen Kreaturen, mit denen wir zusammenleben, die wir aber nicht unbedingt wahrnehmen.
Ein wichtiger Aspekt bei den Geschichten ist der Einfluss der sich verändernden Umweltbedingungen auf den Alltag der Winzlinge. Kinder werden so auf verspielte Weise an Umweltschutz und auch unseren Umgang miteinander herangeführt. Die Geschichten wurden bereits 2016 als E-Book für alle gängigen E-Reader veröffentlicht und sind immer noch äußerst aktuell. Der zweite Band ist in Bearbeitung.

Titelbild 
Auf diesem Blog kann man auch nachlesen, wie das Buch entstand: "The making of Klitzekleine Kreaturen



Über ein Feedback der Zuhörer oder der kleinen Selbstleser würde ich mich freuen.

Sonntag, 17. Dezember 2017


Wieso denn ausgerechnet Duisburg?

Schafe am Rheinufer

Ein kleines Mädchen steht im kalten Dezemberregen und ist vollkommen verzweifelt. Sie möchte das große bunte Herz retten, das sie zuvor mit Kreide auf den Bürgersteig am Gartentor gemalt hat. Hilflos umkreist sie das Herz immer wieder, doch der Regen kennt kein Erbarmen. In der Dunkelheit bemerke ich erst jetzt, dass auch die Mutter am Gartenzaun steht. Bei Eiseskälte ohne Regenschutz im Dunkeln sind die beiden draußen. Sie sind hart im Nehmen, diese Duisburger. Respekt!, denke ich.


Wieso denn ausgerechnet Duisburg? Diese Frage wird mir grundsätzlich gestellt, wenn ich erzähle, dass ich vor ein paar Jahren aus dem Ausland hier zugezogen bin. Selbst Menschen, die eigentlich stolze Duisburger sind, wundern sich über die Wahl meines Wohnortes. Auch der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link fragte mich das einmal.

Wieso denn nicht Duisburg?, sollte ich eigentlich antworten. Würde mich jemand aus Paris oder New York auch fragen, wieso denn gerade Paris? oder wieso denn ausgerechnet New York? Wohl kaum. 

Diese Frage zeigt das mangelnde Selbstbewusstsein der Duisburger, wenn es um ihre Stadt geht. Und das ist wirklich schade. Für mich ist Duisburg so vielfältig und spannend, dass ich mich einfach nicht sattsehen kann. Obwohl mein Neubeginn sich etwas holprig gestaltet hat, (s. a. Befristet), habe ich das Gefühl, angekommen zu sein. Eigentlich bin ich eine Nomadin, die gerne alles einpackt und anderswo wieder neu anfängt. Doch jetzt bin ich ziemlich sicher, dass ich hier nicht mehr weg will.


Aussicht vom Alsumer Berg
Für mich hat Duisburg Suchtpotential. Ich bin süchtig nach der einzigartigen Mischung aus Natur, Industrie und Kunst unter freiem Himmel. Süchtig nach der Aussicht vom Alsumer Berg, bei der man sowohl den Rhein, das Moerser Geleucht, als auch die Industrietürme überblicken kann. Berechenbar ist die Aussicht nie, denn je nach Wetterlage und Jahreszeit ist immer wieder alles anders.


Aussicht vom Alsumer Berg
Und die Sonnenauf- und untergänge auf der Homberger Rheinseite sind so spektakulär, dass man Zickzack durch die vielen Hobbyfotografen laufen muss, die sich dort am ultimativen Bild versuchen.

Die Duisburger wissen, dass ihre Stadt auswärts grundsätzlich mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Dabei ist der Ruf nicht verdient. Soweit ich es überblicke, scheint es hier nicht mehr und nicht weniger gefährlich zu sein, als anderswo. Wie in allen großen Städten muss man eben auf sich aufpassen. Gibt es irgendwo auf der Welt eine Großstadt, wo man viel unternehmen kann, in der es jedoch keinerlei Risiko gibt? Wohl kaum.

Leider kann man Bundespolitiker nicht fernhalten, die für ein paar Stunden in Marxloh aufschlagen, nach dem Motto "wir kümmern uns" alles schlechtreden und dann wieder abreisen. Pech gehabt, Duisburg. Mal wieder schlechte Presse!


Vor allem im europäischen Ausland hat Duisburg ein schlechtes Image, das überwiegend auf dem Zuzug von Rumänen und Roma beruht. Allerdings weiß ich auch von "Problemhäusern" in Düsseldorf, wo das Wohnen für Menschen die Hölle ist, doch die Medien konzentrieren sich dort eben eher auf die Partymeile und die Schickeria.
Besser bekannt und positiver besetzt ist Duisburg wohl bei Chinesen. Aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen im Zusammenhang mit dem Hafen werden jetzt vermutlich mehr chinesische Geschäftsleute nach Duisburg kommen. Wenn das für sie geplante Hotel im Businesspark Asterlagen steht, bringen sie vielleicht auch ihre Familien für einen kurzen Urlaub mit. Eine Busreise nach Schloss Neuschwanstein lässt sich auch von hier aus organisieren. So weit ist das eigentlich nicht, oder?

Zum Thema Vorurteile fällt mir noch ein anderer Aspekt ein: Wer noch nie hier war und die Stadt nur aus den Schimanski-Tatorten kennt, vermutet, dass hier alles grau in grau ist und dass man hier kaum atmen kann. Zwar fällt das Atmen im Winter manchmal schwer, wenn aufgrund der in Mode gekommenen mit Holz betriebenen Kaminheizungen viele Einfamilienhäuser zeitgleich einen Brandgeruch aus den Schornsteinen schleudern, aber ansonsten ist hier nichts verpestet. Und es ist grün! Fast überall.

Blick über den Rhein nach Schwelgern
Für Heuschnupfengeplagte sind die vielen Bäume im Frühjahr eine Herausforderung, aber ansonsten ist es erstaunlich und irgendwie beruhigend, wie schnell die Natur sich Flächen zurückerobert, die von der Industrie nicht mehr genutzt werden. Wie das funktioniert, kann man in den Sommer-Exkursionen der VHS Duisburg lernen. Diese führen unentgeltlich zu verschiedenen Biotopen in ganz Duisburg. Da ich mich bekanntlich für Klitzekleine Kreaturen interessiere, konnte ich bei diesen Führungen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen (was ich nie tun würde, nicht einmal eine): Ich lerne etwas über die Umwelt und ihre tierischen Bewohner und komme in Ecken der Stadt, von deren Existenz ich nicht einmal gewusst hätte. 


Eine weitere großartige Gelegenheit, die Stadt näher kennenzulernen, sind auch die Bürgerspaziergänge mit dem Oberbürgermeister. Sie finden im Rahmen einer Image-Kampagne für Duisburg statt. Die Kampagne soll einerseits den Tourismus ankurbeln und andererseits das Zusammengehörigkeitsgefühl der Duisburger und die Identifikation mit ihrer Stadt stärken.


Pumpwerk Alte Emscher
Ich habe den Eindruck,  dass die Bürgerspaziergänge mittlerweile Kultstatus erlangt haben. Egal wie schlecht das Wetter auch sein mag, egal wie voll das Programm von Sören Link und seinem Team ist, sie werden durchgezogen. Auch wenn der Oberbürgermeister den falschen Mantel anhat und stundenlang frieren muss. Und es gehen immer wieder viele Menschen mit. Die perfekt vorbereiteten Spaziergänge sind eine Mischung aus Stadtführung und Ausflug ins Grüne. Oft kann man Orte besichtigen, in die man sonst nicht so einfach reinkommt, wie z.B. das Pumpwerk Alte Emscher oder die Galerie des Künstlers Cyrus Overbeck in einer ehemaligen Brotfabrik.
Bild von Cyrus Overbeck,
bevor es signiert und an die
Stadt verschenkt wurde

Vertreter der allgegenwärtigen Industriebetriebe geben bereitwillig Auskunft. Bezirksvertreter der jeweiligen Zielorte machen sich viel Mühe, ihren Stadtteil zu präsentieren. Fragen sind absolut willkommen.

Zunächst hatte ich Bedenken, dass es sich bei diesen Ausflügen um verkappte Wahlveranstaltungen für die SPD und Sören Link handeln könnte. Immerhin hatten wir in NRW 2017 nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch die Landtagswahl und die Wahl für den Oberbürgermeister. Aber meine Skepsis erwies sich als absolut unbegründet. Sören Link und sein Team zeigten sich erstaunlich zugänglich für Probleme der Bürger.
Man kann in Duisburg regelrecht in Termindruck geraten, weil es so viele Freizeitangebote und Veranstaltungen gleichzeitig gibt. Irgendwo ist immer etwas zu bestaunen und vieles ist kostenlos. Highlights waren sicherlich die gigantische Sandburg im Landschaftspark Nord, der „Tag des offenen Denkmals“ und der künstliche Pottwal am Rheinufer (übrigens hat auch Duisburg einen Walhaiforscher!).

Auch Gemeindefeste der hier ansässigen Weltreligionen und kleinere öffentliche Angebote in den Stadtteilen sind einen Besuch wert.


Publikumsmagnet Tiger & Turtle -
Allerdings eher bei schönem Wetter ...

Wer mit einem Wohnmobil anreist, kann in Duisburg und Umgebung wochenlang Urlaub machen und wird am Ende immer noch nicht alles gesehen haben. Nicht nur das Zusammentreffen von Rhein und Ruhr, sondern auch die Seen in den verschiedenen Stadtteilen können Wasserfreunde begeistern.



Und was läuft nicht rund in Duisburg?


  • Die Pünktlichkeit der Busse und Bahnen der DVG (und der NIAG im Verbund) lässt absolut zu wünschen übrig. Das ist vollkommen unprofessionell und treibt nicht nur Pendler in den Wahnsinn.
  • Wer seinen Mut beweisen will, fährt mit dem Rad. Viele Radwege sind in grottenschlechtem Zustand und lebensgefährlich ist der Umgang der Duisburger Autofahrer mit Fahrradfahrern. Aber das lässt sich verbessern.
  • Die Homberger Hubbrücke und die Treppe an der Friedrich-Ebert-Brücke in Ruhrort sind für Jogger, Spaziergänger und Radfahrer zeitweise bzw. dauerhaft gesperrt. Das senkt den Freizeitwert!
  • Und: Es reimt sich eigentlich nichts auf Duisburg, so dass ich kein Gedicht auf die Stadt schreiben kann. Aber deshalb muss man den Namen nicht ändern.


Dienstag, 31. Oktober 2017


Von Duisburg nach Mafia Island


Begegnung mit einem Hai-Forscher






„Haie haben ein Image-Problem“, sagt Jens Paulsen. 
Der Homberger Meeresbiologe hat verblüffende Statistiken auf Lager: So werden mehr Leute durch Selfies verletzt, als durch Haie. Es gibt viel mehr Kuhangriffe auf Menschen, als Hai-Angriffe. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass man von einem Menschen durch einen Biss verletzt wird, als von einem Hai. Seiner Meinung nach handelt es sich bei Unfällen mit Haien eher um Missverständnisse zwischen Mensch und Tier.

Jens Paulsens spezielles Interesse gilt allerdings dem größten Fisch unseres Planeten: dem Walhai. Diese bisher noch wenig erforschte Art ist bereits vom Aussterben bedroht.

Die nicht aggressiven Tiere hat er rund um eine kleine Insel studiert, die den kuriosen Namen „Mafia Island“ trägt und im indischen Ozean vor Tansania liegt.

Wie kommt man in einem Duisburger Stadtteil darauf, ausgerechnet Walhaie zu studieren? Die meisten Leute haben ja noch nicht einmal von den Riesen gehört.

 „Ich wusste irgendwie schon immer, dass ich Meeresbiologe werden will, aber so richtig auf Haie habe ich mich erst während meiner Bachelorarbeit in Südafrika eingeschossen. Dieses Land ist ein wahres Paradies für Haienthusiasten und nach einigen Tauchgängen mit verschiedensten Arten war es auch bereits um mich geschehen. Kurioserweise habe ich mir gedacht, warum arbeite ich nicht direkt mit dem größten Fisch der Welt? Und schon bin ich in der Walhaiforschung gelandet“, sagt er.

Mit seinen Studien möchte er dazu beitragen, dass die Art nicht nur überleben kann, sondern in ihrem Lebensraum nicht durch menschliches Einwirken, wie z.B. Fischerei und Tourismus, bedrängt wird. Seine Devise: „Man kann nur das effektiv schützen, was man auch kennt.“

Daher will der Wissenschaftler im Rahmen seiner Doktorarbeit eine Pilotstudie vor Mafia Island durchführen, um mehr Informationen über das Verhalten und die Lebensumstände der bedrohten Art zu erhalten.

Der technische Aufwand für das Forschungsprojekt ist beachtlich: Ein hoch empfindlicher Sensor wird - für das Tier schmerzlos - an der ersten Hinterflosse angebracht. Außerdem soll eine spezielle Unterwasserkamera zum Einsatz kommen.

Um die technische Ausrüstung anzubringen, muss man ganz nah ran an die Riesen. Ist so ein Walhai wirklich so ungefährlich? Ich stelle mir vor, dass ein Flossenschlag einen mehrere Kilometer weit durchs Meer befördern kann. Von Paulsens Ausbildung als Kung-Fu-Trainer lässt sich das Tier wohl kaum beeindrucken. 


„Walhaie sind mit die entspanntesten und friedfertigsten Tiere die ich je gesehen habe. Es ist eine wahre Freude mit diesen Tieren zu arbeiten. Dennoch gilt hier: Nur gucken - nicht anfassen!, denn Walhaie können auf Berührung teilweise sehr schreckhaft reagieren und beschleunigen dann ziemlich stark, um weg zu kommen. In diesem Prozess kann so eine Schwanzflosse ziemlich viel Wucht aufbauen und man möchte nicht zu nah dran sein. Aber mal ehrlich, ich lasse mich doch auch nicht gerne von Fremden auf der Straße anfassen, und den selben Respekt, den man von seinen Mitmenschen erwartet, sollte man auch diesen Tieren entgegenbringen“, erklärt er.

Eindrücke von seiner Arbeit mit den Walhaien gibt in einem kurzen Video.

Auch eine Drohne zum Zurückholen des Sensors wäre hilfreich, denn wer weiß schon im Vorhinein, wohin und wie weit ein Walhai schwimmt.

Wie schnell schwimmt so ein Gigant eigentlich? Im Video sieht es alles sehr gemütlich aus.

"Eine genaue Durchschnittsgeschwindigkeit ist schwer zu beziffern, aber um so einem Walhai auf der Spur zu bleiben, muss man schon schwimmerisch in Form sein und Flossen sind auch ein Muss. Sobald der Hai dann so richtig Gas gibt, wie z.B. beim Fressen, wird es selbst für uns Forscher schwierig, am Tier dranzubleiben. Da hilft dann nur ein wendiges Boot, welches das Team in gebührender Distanz vor dem Tier absetzt. Die Forschungsarbeit muss dann meistens innerhalb weniger Minuten ausgeführt werden", sagt der Forscher.

Er hat bereits viel eigenes Geld in sein Biologie-Studium an der Universität Bremen und die Arbeit in verschiedenen Meeren der Welt investiert. Um das Walhai-Projekt in vollem Umfang realisieren zu können, benötigt er jedoch finanzielle Unterstützung und sucht nach Spendern, auch über eine Crowd-Funding-Seite, auf der es detaillierte Informationen zum Projekt gibt.

"Natürlich erhalten Spender eine Spendenquittung", versichert er.

Eigentlich ist an ihm ein brillanter Lehrer verlorengegangen. Sein Studium absolvierte er in englischer Sprache und hielt Vorträge im In- und Ausland, wie z.B. in Quatar. Wenn er über sein Thema, die Meeresbiologie spricht, sieht man ihm seine Leidenschaft an. Sowohl Kinder als auch Erwachsene folgen gebannt seinen Ausführungen, wenn er über seine Erfahrungen mit den beeindruckenden Meereskolossen berichtet. Und nicht nur darüber spricht er gerne und geduldig. Arten- und Umweltschutz allgemein sind ihm ein großes Anliegen.

Da ich mich bekanntlich für Klitzekleine Kreaturen interessiere, die mit uns den Planeten teilen, die wir aber oft nicht wahrnehmen, habe ich Jens Paulsen Löcher in den Bauch gefragt. Geduldig hat er das erklärt, was in den zahlreichen Dokumentarfilmen immer nur im Zeitraffer gezeigt wird. So habe ich auch erfahren, dass das Etikett "Dolphin Safe" auf Fischkonserven eigentlich wenig Aussagekraft hat. Wichtig ist immer die Angabe der Fangmethode auf den Thunfisch-Dosen, 
denn wenn Thunfische mit Ringwadennetzen gefangen werden, befinden sich eben noch viele weitere Meerestiere im Netz, die dann auch getötet werden. Einige Produzenten von Dosen-Thunfisch geben die Fangmethode an, jedoch nicht die Hersteller von Katzenfutter. Man sollte dort einmal nachfragen.

Wie soll es weitergehen, wenn die Ergebnisse seiner Forschung vorliegen? Die Behörden vor Ort und die Vertreter der Fischerei- und Tourismusindustrie müssen an einen Tisch gebracht werden, um sicherzustellen, dass sowohl die Interessen der Walhaie als auch derjenigen, deren Lebensunterhalt vom Meer abhängig ist, in Einklang gebracht werden.

„Das wird nicht einfach werden“, sagt Jens Paulsen. „Diese wunderbaren Tiere brauchen allerdings Fürsprecher. Sonst gibt es sie bald nicht mehr. Wissen ist der Schlüssel zum Schutz dieser Tiere, denn obgleich es der größte Fisch der Welt ist, wissen wir lachhaft wenig über diese Tiere.“


Veggie Radio sendete am 25.08.2017 ein interessantes Interview mit Jens Paulsen.

Weitere Infos über Jens Paulsens Forschungsarbeit mit wunderschönen Fotos gibt es bei der KELLNER & STOLL - STIFTUNG


© Matilda Mench 2017


Montag, 25. September 2017

Berliner Bühne

Gestern im Wahllokal


"Mal eben kurz wählen gehen", ist nicht bei der Bundestagswahl 2017 nicht drin und die Stimmung ist entsprechend gereizt.

Sich ehrenamtlich als Wahlhelfer zu engagieren, würden die meisten sich nicht antun. Warum einen ganzen Tag und einen großen Teil des Abends mit einer langweiligen Tätigkeit verbringen, wenn man doch einen entspannten Sonntag verbringen kann? Ich wollte das einfach mal ausprobieren. Zu oft lässt man sich eine Erfahrung entgehen, weil man einfach glaubt, was andere zur Abschreckung erzählen. 

Also melde ich mich zur NRW-Landtagswahl 2017 an. Vorher noch kurz eine Video-Schulung machen und dann einfach um 7.30 Uhr zum zugewiesenen Wahllokal gehen. 

Ich kann das wirklich jedem empfehlen. Es gleicht einem  sozialen Experiment, wenn Menschen, die sich überhaupt nicht kennen, auf einmal zusammenarbeiten müssen. Aufgaben werden verteilt, die für einige vollkommen neu sind. Alle bemühen sich, eine angenehme Atmosphäre für die Wähler zu schaffen. Auf einmal muss man sich mit Schlangen-Management befassen und so mancher bemerkt, dass er eine natürliche Autorität besitzt, die von wildfremden Menschen anerkannt wird. Gerade bei der Auszählung arbeiten alle Hand in Hand, nicht nur, weil man die Nacht nicht im Wahllokal verbringen möchte. Wenn es hakt, darf jeder Vorschläge zur Problemlösung einbringen. Es ist gelebte Demokratie, die am Arbeitsplatz nicht möglich wäre, weil ständig eine(r) rumzickt.

Der Tag bei der Landtagswahl gefällt mir so gut, dass ich mich als Wahlhelferin für die Bundestagswahl 2017 zur Verfügung stelle. Erst nach meiner Zusage wird mir klar, dass es sich dieses Mal in Duisburg um drei Abstimmungen handeln wird: die "historische" Bundestagswahl, die Wahl des Duisburger Oberbürgermeisters und die Abstimmung um das Duisburger Outlet Center (DOC), das die Geschäfte in der Duisburger Innenstadt massiv beeinträchtigen würde. Alles viel komplizierter und zeitfressender als beim ersten Mal.

Es gibt zwei Wahlregister und drei Wahlurnen.  Auch Leute unter 18 Jahren dürfen an zwei der drei Abstimmungen teilnehmen. Die Medien haben das Thema Wahl bis zur letzten Minute gnadenlos ausgelutscht und somit ist die Wahlbeteiligung erfreulich hoch. Den ganzen Tag über ist volle Konzentration gefordert und abends stellt sich Heiserkeit ein.

Während im Ausland bereits digital abgestimmt wird, sind hier die Warteschlangen hausgemacht. Wartezeiten bis zu einer Stunde für die Ausübung ihres Wahlrechts sind die Deutschen nicht gewohnt. Als Wahlhelfer muss man sich einiges anhören. Aber sobald man den Leuten erklärt, dass auch wir ganz normale Leute aus der Bevölkerung sind, die ihre Freizeit opfert, damit andere ihr Wahlrecht ausüben können, sind die Leute auf einmal freundlich. Für das "Erfrischungsgeld", dass wir abends erhalten, würde niemand arbeiten. Der Stundenlohn läge unter Minijob-Niveau, rechnen sich manche aus.

Wie immer die Wahl ausgeht, es ist ein Sieg für die Demokratie, trösten wir die Wartenden. Der große Andrang ist ein gutes Zeichen. Endlich interessieren sich die Leute einmal für Politik.

Ein Problem – nicht nur für Leute mit Migrationshintergrund - stellt die Formulierung auf dem Stimmzettel zum DOC dar. Vermutlich ganz bewusst wird dem Wähler mehrfaches Durchlesen abverlangt, denn wer gegen das DOC stimmen will, muss "Ja" ankreuzen und wer dafür ist, muss mit "Nein" stimmen. Einigen fällt erst nach Einwurf des Stimmzettels auf, dass er eigentlich anders abstimmen wollte, den Text aber verkehrt verstanden hat.

In meinem Wahlbezirk leben Leute verschiedenster Nationen und so ist auch die Warteschlange bunt gemischt. Es fordert Stärke, entsprechend der Anweisungen nichts zu sagen, als ein Mann zu seiner kleinen Tochter laut hörbar sagt: "Du darfst auch wählen, denn du hast rein arisches Blut". Er steht direkt hinter Menschen mit Migrationshintergrund an. Mit wem wohnt man eigentlich hier zusammen?, schießt es mir durch den Kopf. Er ist ein Deutscher, der "sich traut", wie der Wahlslogan der AfD forderte. Zu einem netten Menschen macht ihn das nicht. Wo gehe ich nur hin, wenn hier nur noch solche rassistischen Idioten rumlaufen? 

Er traut sich mit seiner Aussage auch, Mut zur Wissenslücke zu zeigen. Ich überlege, ob ich ihn auf Mo Asumangs ausgezeichnete Dokumentation "Die Arier" hinweisen soll. Da kann man erstaunliche Dinge über Arier erfahren. Doch ich möchte nicht, dass es zur Konfrontation im Wahllokal kommt und die ganze Wahl deswegen wiederholt werden muss. Es ist ohnehin zu befürchten, dass man sich im Stadtteil noch öfter über den Weg läuft. Dann kann ich ihm das immer noch erzählen.

Noch bevor wir überhaupt mit dem Auszählen beginnen können, gibt es schon die ersten Hochrechnungen, die dunkle Zeiten prognostizierten. Und so ist es auch hier, die AfD hatte erschreckend mehr Stimmen bekommen, als ich erwartet hatte. Dafür sieht es für die NPD ganz mies aus. Ein Übel gräbt dem anderen das Wasser ab. Macht das einen Unterschied? 

Über die Anerkennung einiger Stimmzettel, mit denen für die AfD gestimmt wurde, muss abgestimmt werden. Sie sind vollgekritzelt oder haben viel zu viele Kreuze und was dem Ausfüller sonst noch lustig erschien. Wissen die Wähler mit ihrer Stammtisch-Weisheit einfach nicht, wie man einen Wahlzettel richtig ausfüllt oder war es Absicht, diese ungültig zu machen? Hier wird die demokratische Grundeinstellung der Wahlhelfer auf den Prüfstein gestellt. Über jeden dieser Wahlzettel wird abgestimmt und – auch wenn es weh tut – einige der Stimmen werden doch noch für gültig erklärt. 

Die NPD war mit einer Erzieherin zur Oberbürgermeisterwahl angetreten. Das Kopfkino, das die Auszählung dieser Stimmen auslöst, beschreibe ich hier lieber nicht. Ich verspüre den Drang, mir nach dem Berühren der Stimmzettel die Hände zu waschen.

Ist das überhaupt legal, wenn jemand mit dieser politischen Gesinnung einen solchen Beruf ausübt? Es ist doch absehbar, in welcher Richtung die Kinderlein geformt werden, hatte eine Wählerin den Stimmzettel kommentiert.

Spätabends ist es geschafft. Müde und besorgt schaut man sich die Sendungen zum Wahlausgang an. Ein versöhnlicher Gedanke: Wenn das alles Protestwähler waren, die für diesen Wahlausgang gesorgt haben, kommen die bei der nächsten Bundestagswahl wohl nicht mehr. Sie haben erreicht was sie wollen und werden nun schwer enttäuscht sein, wenn sie feststellen, dass sich nichts ändern wird. Allmählich wird  Begeisterung der AfD-Wähler nachlassen. 

Dabei darf man den Unterhaltungsfaktor der AfD nicht unterschätzen. Es wird lustig sein, wenn sich die auf dem politischen Parkett unerfahrenen Akteure selbst ins Aus manövrieren. Wir müssen jetzt nicht mehr in die USA schauen. Trump war gestern, was bei uns abgehen wird, übertrumpft alles. Was wird zwischen der FDP und den Grünen abgehen? Und was wird jetzt aus Bayern kommen? Comedians reiben sich wahrscheinlich schon die Hände, wenn sie an die endlose Flut von Material denken, die aus dem Bundestag kommen wird. Vorhang auf!


Nachtrag

Noch ein Wort zur aktuellen Reinwaschung der AfD-Wähler. Viele Medienvertreter, wenngleich früher als "Lügenpresse" verunglimpft, haben sich jetzt darauf eingeschossen, dass kaum einer von denen, die für die AfD gestimmt haben, Nazis oder Neonazis sind. Es seien Leute, die sich "vergessen" und "abgehängt" fühlen und in finanzieller Not seien. Ist ja dann nicht so schlimm, oder? Da kann man beruhigt schlafen gehen. Ich frage mich, wo fängt Nazi an?

Mir persönlich reicht schon der Satz, der einem immer wieder entgegenkommt: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber ...".

Das Wort "aber" ist für mich das Unwort der letzten Jahre. Auch ich bin von der wirtschaftlichen Lage und dem altersfeindlichen Arbeitsmarkt gebeutelt, wie jeder weiß, der "Befristet" gelesen hat. Trotzdem wäre es mir nie in den Sinn gekommen, eine rechtsorientierte Partei wie die AfD zu wählen. Auch mir ist es zu voll in Deutschland: Es tummeln sich zu viele Rechtspopulisten und Krawallmacher auf der Gegenseite in unserem Land. Vor allem aber sollten wir eine Obergrenze für Pöbler einführen.