Integration durch Mülltrennung?
Ende Oktober 2019 erreicht
mich ein E-Mail mit dem Betreff „Take a walk with me“. Dahinter verbirgt sich
die Einladung zu einem weiteren Bürgerspazierung mit Duisburgs
Oberbürgermeister Sören Link. Herr Link scheut den Kontakt zu Duisburger
Bürgern nun wirklich nicht. Neben seiner Bürgersprechstunde kann man ihn in
Kneipen, Wohnzimmern und bei den Rundgängen durch die Stadtteile treffen. Die
Duisburger lieben diese gut organisierten Veranstaltungen, weshalb es sofort
eine Warteliste gibt.
Nach dem berühmt-berüchtigten
Marxloh soll es am 16.11.2019 durch ein
weiteres „Problemviertel“ gehen, von
dem man als Nicht-Duisburger oder neu zuziehende Person eigentlich nur den
schlechten Ruf kennt: Hochfeld, der jüngste Stadtteil Duisburgs. Was soll es
dort etwas Interessantes zu sehen geben? Wer googelt, bekommt nur abschreckende
Angaben zu Hochfeld. Auch die Presse berichtet in der Regel nichts
Erfreuliches. Der Fokus scheint auf Kriminalität zu liegen.
Auch das ist Hochfeld |
Rheinpark Duisburg (vor dem Abriss) |
Der Treffpunkt liegt im Rheinpark. Auf der ehemaligen
Industrieanlage gibt es neben viel grüner Wiese, auf der auch professionelle
Hochzeitsfotos gemacht und Flohmärkte veranstaltet werden, eine Rheinpromenade
mit Strand und dem Restaurant Ziegenpeter, einen Platz für Skater und verfallende
Industrieanlagen. Die müssen jetzt weg, denn auf dem Gelände soll ein
Wohnviertel entstehen. Doch eigentlich geht es auch darum, dass Duisburg
gemeinsam mit anderen Städten den Zuschlag für die Internationale Gartenschau IGA
2027 erhalten hat. Und die wird auch im Rheinpark stattfinden.
Deshalb soll am anderen Ende des Parks der so genannte
Kultushafen zugeschüttet werden. Dagegen regt sich bereits
Widerstand, denn das Gebiet ist ein kleines, aber feines Biotop. Warum es
ausgerechnet einer Ausstellung, bei der es um Natur geht, weichen soll,
entzieht sich der Logik.
Der Bürgerspaziergang führt weiter zur Grünanlage
Grüner Ring, wo sich auch die Rudolf-Schock-Straße befindet. Wer sich noch an
die vielen Musiksendungen und Spielfilme im damaligen schwarz-weiß Fernsehen
erinnern kann, der wird vielleicht erstaunt sein, dass der bekannte Sänger in
Duisburg geboren wurde. Ich hätte ihn eher in ein Gebiet verlegt, in dem Dirndl
zur Alltagskleidung zählen.
Kletterbunker |
Vorbei an einem zu einer Kletteranlage
umfunktionierten Hochbunker geht es zu einem neuen Vorzeigeprojekt der Stadt.
Das Blaue Haus ist ein Jugendzentrum, das die vielen Kinder und
Jugendlichen, die aus dem Ausland in Duisburg aufschlagen, auffängt und begleitet.
Früher bestand das Jugendzentrum aus abgewrackten Containern, jetzt bekommen
die Betreiber endlich ein adäquates Gebäude mit professionellem Graffiti. Einer
der Verantwortlichen schildert die beeindruckende Arbeit des Trägervereins und die Bürger dürfen Fragen stellen. Sie erfahren, dass neu
zugezogene Kinder nicht selten über ein Jahr auf die Einschulung warten und
überhaupt nicht verstehen, wie das neue Land funktioniert. Warum fragen wir
eigentlich sonst nie nach, was Jugendhäuser so machen? Eigentlich könnte man ja
einfach vorbeischauen und sich vielleicht sogar engagieren?
professionelles Graffiti |
Jugendamtsleiter Hinrich
Köpcke sieht sich unerwartet mit Fragen konfrontiert, die die beabsichtigte
Kürzung von Fördergeldern in anderen „Problemvierteln“ an-sprechen. Man kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Blaue Haus, das auf dem Weg der
Besucher der IGA 2027 liegt, eben besonders viel hermachen soll. Und deshalb
soll das Haus nebenan, das seit Jahren leer steht, abgerissen werden. In
Duisburg wird bekanntlich so manches Gebäude publikumswirksam gesprengt, aber
hier wird wohl eher die gute alte Abrissbirne zum Einsatz kommen.
Soll weg |
Auf dem Weg zum Brückenplatz sind erstaunlich viele
teure Autos zu sehen. Wie passt denn das zu dem Stadtteil, in dem hohe Arbeitslosigkeit
herrscht? Es ist eine Hochzeitsgesellschaft, die gerade aufbricht. Die
Befürchtung einer Bürgerin bewahrheitet sich nicht: Es wird nicht in die Luft
geballert und der Korso hält brav an einer roten Ampel.
Ein großes Herz in Pink verziert die Mauer hinter einem Brunnen auf dem Brückenplatz. Angeblich befindet sich darunter ein Hakenkreuz, das ruckzuck in Eigeninitiative der Stadtteilbewohner beseitigt wurde.
Herz statt Hakenkreuz |
Ein Mitarbeiter der Abfallbeseitigung klagt der
Bürgerguppe sein Leid. Der Zufluss von Menschen mit Migrationshintergrund in
den Stadtteil ist ungebrochen. Nicht nur, dass viele von geldgierigen
Vermietern ausgenutzt würden. Man könne die Menschen auch nicht durch Arbeit
integrieren, weil es keine Arbeit mehr gäbe. Die Mülltrennung sei ein enormes
Problem. Man versuche, die Neubürger dafür zu sensibilisieren. Integration
durch Mülltrennung?, frage ich mich.
Der Vortrag wird jäh unterbrochen, als ein kleiner
schwarzer Junge angerannt kommt und den ehemaligen Baudezernenten Carsten Tum
anspricht: „Bist du der Bürgermeister?“ Der verneint und bringt ihn zu Sören
Link, der sich dem Kind vorstellt. Er findet heraus, dass der Junge gerne Sport
treiben würde, es sich aber nicht leisten kann. Auch hier erstaunt wieder
einmal, dass sich der Oberbürgermeister mit vielen Belangen der Bürger gut
auskennt. Er empfiehlt dem Jungen einen Antrag beim Stadtsportbund zu stellen,
damit er ein ganzes Jahr umsonst in einem Verein Sport machen kann. Er soll in
der Schule fragen, wo es die Anträge gibt. Mit großen Augen hört der Junge zu.
Eine Teilnehmerin schreibt ihm sicherheitshalber das Wort „Stadtsportbund“ auf,
damit er den Zettel seiner Lehrerin geben kann.
Der nächste Stopp ist der „Citywohnpark“. Dort sollen
nach Angaben der städtischen Wohnbaugesellschaft GEBAG 1.200 Menschen aus 60-70
Nationen wohnen. Es ist eine der größten Wohnanlagen Duisburgs, die jetzt
renoviert werden soll. Eigentlich hätte man aufgrund des vorangehenden Vortrags
mit Müllbergen rechnen können, doch nein, es ist sehr sauber. Die Siedlung
wirkt annehmlicher und kompakter als die Hochhäuser in Duisburg-Hochheide.
Sören Link mit Hochfelder Kindern |
Kein Bürgerspaziergang ohne einen kulinarischen Abschluss. Der findet dieses Mal in der Krümelküche.statt. In dem kleinen Café-Restaurant, in dem kein Möbelstück und keine Kaffeetasse zur anderen passt, wird veganes Gebäck angeboten, das Sören Link, der sich eher als Fleischesser outet, ausdrücklich empfiehlt. Zwar skeptisch, aber gespannt, greifen alle zu und scheinen äußerst zufrieden. Der Besitzer hebt hervor, dass es ihm wichtig ist, aufzuzeigen, dass der schlechte Ruf des Stadtteils eher unbegründet ist. Ein Bürgerspaziergang wird die Vorurteile nicht ausradieren können, aber ein Anfang scheint gemacht.