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Veröffentlichte Bücher: "Life on the Line - The heroic story of Vicki Moore" von Matilda Mench und "Rettet den Gnadenhof" von D.L.M. Mench, sowie Gute-Nachtgeschichten für Kinder usw.

Dienstag, 19. Januar 2016

Das größte Geschenk

Das größte Geschenk 


Geliebter Freund,

ich habe dir heute ein großes Geschenk gemacht: Ich habe dich gehen lassen.



Die Entscheidung hat mir fast das Herz zerrissen. Doch du, der sich selten beschwert hat, machtest mir klar, du kannst nicht mehr. Ich danke dir für die Zeit mit dir.

Jede Minute mit dir war ein Geschenk. Schon immer. Als ich dich kennenlernte, warst du schon drei Jahre alt. Während deine Schwestern sich mir sofort öffneten, hieltest du dich mit deinen Gefühlen zurück. Aber du beobachtest mich die ganze Zeit ganz genau. Du folgtest mir von Raum zu Raum und sahst mir zu. Doch kuscheln kamst du nicht. Spielen  schon eher.
Ich erinnere mich nicht mehr, wann genau du den Schalter umlegtest. Mit dir zu schmusen war dir ultimative Belohnung. Und wenn du nachts ins Bett krochst und dich in die Rundung meiner Taille kuscheltest, war ich geborgen.
Mit den Jahren wurdest du immer besitzergreifender. Sobald ich mich irgendwo hinsetzte, sprangst du auf meinen Schoß und erwartetest, dass ich für Stunden sitzen bliebe. Wie oft tat mir jeder Knochen weh, nur weil ich mich nicht zu rühren wagte.
Kam ich später als gewohnt von der Arbeit, motztest du mich bereits an der Tür an. Und wenn ich es wagte, abends noch einmal wegzugehen, warst du hinterher demonstrativ verschmust. Wie ein altes Ehepaar verstanden wir uns. Früher warst du stumm, doch ich brachte dir das Sprechen bei, in einer Sprache, die nur ich verstand.
Die vierzehn Jahre mit dir vergingen viel zu schnell. Wie viel schöne Zeit mit dir hätte ich mir noch gewünscht. Wer soll mich jetzt trösten, wenn es mir nicht gut geht? Wer macht mir gute Laune? Wer bringt mich jetzt zum lauten Lachen? Es war so komisch, wenn dir eleganter Kreatur einmal etwas schief ging. Du konntest das selbst kaum glauben und sahst mich dann immer fragend an: Was war das denn jetzt?
Du liegst auf deinem gewohnten Platz. Ich sitze daneben. Immer wieder schaue ich zu dir. Hebt und senkt dein Brustkorb wirklich nicht mehr? War da nicht ein Zucken um den Bart, wie wenn du einen deiner bewegten Träume hattest? Nein. Du siehst perfekt aus wie immer, doch du bist nicht mehr da. Von deinem edlen Körper muss ich mich morgen trennen.
Deine Seele bleibt hoffentlich bei mir. Wie die deiner Schwestern. Lauter kleine schnurrende Seelen, die wie unsichtbare Luftballons um meinen Kopf herum tanzen, egal wohin ich gehe. Nur dieser Gedanke macht das Weiterleben überhaupt möglich.
Ich habe das Liebste überhaupt verloren, doch etwas von dir bleibt immer bei mir. Hast du jetzt ein besseres Leben? Werden wir in einigen Jahren zueinanderfinden? Oder wirst du bald recycelt und in anderer Gestalt zurückkommen? Werden wir uns erkennen? Deinen Platz in meinem Herzen halte ich dir frei.