Über mich

Mein Bild
Veröffentlichte Bücher: "Life on the Line - The heroic story of Vicki Moore" von Matilda Mench und "Rettet den Gnadenhof" von D.L.M. Mench, sowie Gute-Nachtgeschichten für Kinder usw.

Montag, 25. September 2017

Berliner Bühne

Gestern im Wahllokal


"Mal eben kurz wählen gehen", ist nicht bei der Bundestagswahl 2017 nicht drin und die Stimmung ist entsprechend gereizt.

Sich ehrenamtlich als Wahlhelfer zu engagieren, würden die meisten sich nicht antun. Warum einen ganzen Tag und einen großen Teil des Abends mit einer langweiligen Tätigkeit verbringen, wenn man doch einen entspannten Sonntag verbringen kann? Ich wollte das einfach mal ausprobieren. Zu oft lässt man sich eine Erfahrung entgehen, weil man einfach glaubt, was andere zur Abschreckung erzählen. 

Also melde ich mich zur NRW-Landtagswahl 2017 an. Vorher noch kurz eine Video-Schulung machen und dann einfach um 7.30 Uhr zum zugewiesenen Wahllokal gehen. 

Ich kann das wirklich jedem empfehlen. Es gleicht einem  sozialen Experiment, wenn Menschen, die sich überhaupt nicht kennen, auf einmal zusammenarbeiten müssen. Aufgaben werden verteilt, die für einige vollkommen neu sind. Alle bemühen sich, eine angenehme Atmosphäre für die Wähler zu schaffen. Auf einmal muss man sich mit Schlangen-Management befassen und so mancher bemerkt, dass er eine natürliche Autorität besitzt, die von wildfremden Menschen anerkannt wird. Gerade bei der Auszählung arbeiten alle Hand in Hand, nicht nur, weil man die Nacht nicht im Wahllokal verbringen möchte. Wenn es hakt, darf jeder Vorschläge zur Problemlösung einbringen. Es ist gelebte Demokratie, die am Arbeitsplatz nicht möglich wäre, weil ständig eine(r) rumzickt.

Der Tag bei der Landtagswahl gefällt mir so gut, dass ich mich als Wahlhelferin für die Bundestagswahl 2017 zur Verfügung stelle. Erst nach meiner Zusage wird mir klar, dass es sich dieses Mal in Duisburg um drei Abstimmungen handeln wird: die "historische" Bundestagswahl, die Wahl des Duisburger Oberbürgermeisters und die Abstimmung um das Duisburger Outlet Center (DOC), das die Geschäfte in der Duisburger Innenstadt massiv beeinträchtigen würde. Alles viel komplizierter und zeitfressender als beim ersten Mal.

Es gibt zwei Wahlregister und drei Wahlurnen.  Auch Leute unter 18 Jahren dürfen an zwei der drei Abstimmungen teilnehmen. Die Medien haben das Thema Wahl bis zur letzten Minute gnadenlos ausgelutscht und somit ist die Wahlbeteiligung erfreulich hoch. Den ganzen Tag über ist volle Konzentration gefordert und abends stellt sich Heiserkeit ein.

Während im Ausland bereits digital abgestimmt wird, sind hier die Warteschlangen hausgemacht. Wartezeiten bis zu einer Stunde für die Ausübung ihres Wahlrechts sind die Deutschen nicht gewohnt. Als Wahlhelfer muss man sich einiges anhören. Aber sobald man den Leuten erklärt, dass auch wir ganz normale Leute aus der Bevölkerung sind, die ihre Freizeit opfert, damit andere ihr Wahlrecht ausüben können, sind die Leute auf einmal freundlich. Für das "Erfrischungsgeld", dass wir abends erhalten, würde niemand arbeiten. Der Stundenlohn läge unter Minijob-Niveau, rechnen sich manche aus.

Wie immer die Wahl ausgeht, es ist ein Sieg für die Demokratie, trösten wir die Wartenden. Der große Andrang ist ein gutes Zeichen. Endlich interessieren sich die Leute einmal für Politik.

Ein Problem – nicht nur für Leute mit Migrationshintergrund - stellt die Formulierung auf dem Stimmzettel zum DOC dar. Vermutlich ganz bewusst wird dem Wähler mehrfaches Durchlesen abverlangt, denn wer gegen das DOC stimmen will, muss "Ja" ankreuzen und wer dafür ist, muss mit "Nein" stimmen. Einigen fällt erst nach Einwurf des Stimmzettels auf, dass er eigentlich anders abstimmen wollte, den Text aber verkehrt verstanden hat.

In meinem Wahlbezirk leben Leute verschiedenster Nationen und so ist auch die Warteschlange bunt gemischt. Es fordert Stärke, entsprechend der Anweisungen nichts zu sagen, als ein Mann zu seiner kleinen Tochter laut hörbar sagt: "Du darfst auch wählen, denn du hast rein arisches Blut". Er steht direkt hinter Menschen mit Migrationshintergrund an. Mit wem wohnt man eigentlich hier zusammen?, schießt es mir durch den Kopf. Er ist ein Deutscher, der "sich traut", wie der Wahlslogan der AfD forderte. Zu einem netten Menschen macht ihn das nicht. Wo gehe ich nur hin, wenn hier nur noch solche rassistischen Idioten rumlaufen? 

Er traut sich mit seiner Aussage auch, Mut zur Wissenslücke zu zeigen. Ich überlege, ob ich ihn auf Mo Asumangs ausgezeichnete Dokumentation "Die Arier" hinweisen soll. Da kann man erstaunliche Dinge über Arier erfahren. Doch ich möchte nicht, dass es zur Konfrontation im Wahllokal kommt und die ganze Wahl deswegen wiederholt werden muss. Es ist ohnehin zu befürchten, dass man sich im Stadtteil noch öfter über den Weg läuft. Dann kann ich ihm das immer noch erzählen.

Noch bevor wir überhaupt mit dem Auszählen beginnen können, gibt es schon die ersten Hochrechnungen, die dunkle Zeiten prognostizierten. Und so ist es auch hier, die AfD hatte erschreckend mehr Stimmen bekommen, als ich erwartet hatte. Dafür sieht es für die NPD ganz mies aus. Ein Übel gräbt dem anderen das Wasser ab. Macht das einen Unterschied? 

Über die Anerkennung einiger Stimmzettel, mit denen für die AfD gestimmt wurde, muss abgestimmt werden. Sie sind vollgekritzelt oder haben viel zu viele Kreuze und was dem Ausfüller sonst noch lustig erschien. Wissen die Wähler mit ihrer Stammtisch-Weisheit einfach nicht, wie man einen Wahlzettel richtig ausfüllt oder war es Absicht, diese ungültig zu machen? Hier wird die demokratische Grundeinstellung der Wahlhelfer auf den Prüfstein gestellt. Über jeden dieser Wahlzettel wird abgestimmt und – auch wenn es weh tut – einige der Stimmen werden doch noch für gültig erklärt. 

Die NPD war mit einer Erzieherin zur Oberbürgermeisterwahl angetreten. Das Kopfkino, das die Auszählung dieser Stimmen auslöst, beschreibe ich hier lieber nicht. Ich verspüre den Drang, mir nach dem Berühren der Stimmzettel die Hände zu waschen.

Ist das überhaupt legal, wenn jemand mit dieser politischen Gesinnung einen solchen Beruf ausübt? Es ist doch absehbar, in welcher Richtung die Kinderlein geformt werden, hatte eine Wählerin den Stimmzettel kommentiert.

Spätabends ist es geschafft. Müde und besorgt schaut man sich die Sendungen zum Wahlausgang an. Ein versöhnlicher Gedanke: Wenn das alles Protestwähler waren, die für diesen Wahlausgang gesorgt haben, kommen die bei der nächsten Bundestagswahl wohl nicht mehr. Sie haben erreicht was sie wollen und werden nun schwer enttäuscht sein, wenn sie feststellen, dass sich nichts ändern wird. Allmählich wird  Begeisterung der AfD-Wähler nachlassen. 

Dabei darf man den Unterhaltungsfaktor der AfD nicht unterschätzen. Es wird lustig sein, wenn sich die auf dem politischen Parkett unerfahrenen Akteure selbst ins Aus manövrieren. Wir müssen jetzt nicht mehr in die USA schauen. Trump war gestern, was bei uns abgehen wird, übertrumpft alles. Was wird zwischen der FDP und den Grünen abgehen? Und was wird jetzt aus Bayern kommen? Comedians reiben sich wahrscheinlich schon die Hände, wenn sie an die endlose Flut von Material denken, die aus dem Bundestag kommen wird. Vorhang auf!


Nachtrag

Noch ein Wort zur aktuellen Reinwaschung der AfD-Wähler. Viele Medienvertreter, wenngleich früher als "Lügenpresse" verunglimpft, haben sich jetzt darauf eingeschossen, dass kaum einer von denen, die für die AfD gestimmt haben, Nazis oder Neonazis sind. Es seien Leute, die sich "vergessen" und "abgehängt" fühlen und in finanzieller Not seien. Ist ja dann nicht so schlimm, oder? Da kann man beruhigt schlafen gehen. Ich frage mich, wo fängt Nazi an?

Mir persönlich reicht schon der Satz, der einem immer wieder entgegenkommt: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber ...".

Das Wort "aber" ist für mich das Unwort der letzten Jahre. Auch ich bin von der wirtschaftlichen Lage und dem altersfeindlichen Arbeitsmarkt gebeutelt, wie jeder weiß, der "Befristet" gelesen hat. Trotzdem wäre es mir nie in den Sinn gekommen, eine rechtsorientierte Partei wie die AfD zu wählen. Auch mir ist es zu voll in Deutschland: Es tummeln sich zu viele Rechtspopulisten und Krawallmacher auf der Gegenseite in unserem Land. Vor allem aber sollten wir eine Obergrenze für Pöbler einführen.